Thomas Meinekes 'Tomboy' - Sprache, die aufs Glatteis führt [de]

Kito Nedo


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Thomas Meineckes letzter Roman „Tomboy" spielt im studentischen Millieu der Genderstudies

„Tomboy" ist die Geschichte der Studentin Vivian Atkinson, die zwischen Frühjahr und Winter 1997 ihre Magisterarbeit zum Thema „Haben, Sein, Scheinen" schreibt. Die Handlung ist angesiedelt im Umland des beschaulichen Studentenstätdchens Heidelberg, und wie schon in Meineckes 96er Roman „The Church of JFK" dreht sich vieles um US-amerikanische Kultur. Denn die 24jährige Magistrandin entstammt einer deutsch-amerikanischen Beziehung, bevorzugt Platten der Frauen-Kombos „Sleater Kinney" oder „Bikini Kill" und verschlingt die Texte der US-amerikanischen Star-Philosophin Judith Butler, die mit Büchern wie „Gender Trouble" (dt.: „Das Unbehagen der Geschlechter") die feministischen Diskussionen der Neunziger erheblich prägte.
Ihr zur Seite stellt der Autor ein fast ausschließlich weibliches Figurenensemble: da ist die ewige Doktorandin Frauke Stöver, die über die Vorhaut Jesu forscht; Korinna Kohn, eine Richterstochter und Verehrerin der Tennis-Legende Martina Navratilova; die ominöse Polit-Aktivistin Pat Meier, die nächtelang die Ludwigshafener BASF-Werke per Fernglas observiert; der Arzthelfer Hans Mühlenkamm, Housemusic hörender Träger von Arbeitsbekleidung und, wie Frauke, Vivians unermüdlicher Verehrer. Oder die in einer Pizzaria kellnernde Italienerin Angela, die eigentlich Angelo heißt, und den Studentinnen immer wieder Anlaß zum Philosophieren über geschlechtliche Zuschreibungen und Konstruktionen gibt.

„Tomboy" ist ein Buch über die Gender-Theorien der Neunziger. Die literarischen Figuren bilden den Raum, in welchen Philosophie, Mode oder Politik einem fortwährenden Diskurs unterzogen werden. Immer wieder werden Judith Buttler, Donna Haraway, Otto Weininger, Jacques Lacan und andere zitiert und hinterfragt, Freud-Anekdoten kolportiert. Was hat Meinecke am Thema Gender-Studies interessiert?

„Das Thema ist daurch an mich herangekommen, da es dauernd irgendwo „aufpoppt" auch in bohemistischen Zusammenhängen. Ich bin kein Mensch, der sich in dem Wissenschaftssektor, in dem das auch formuliert wird, sich bewegt. Ich bin eher durch Bands wie „Sleater Kinney" darauf gekommen, oder dadurch, daß man Interviews mit Judith Butler in „Texte zur Kunst" lesen konnte. Durch solche Signale, die praktisch durch die Oberfläche treten, wo es dann mich auch mich interessiert, wenn es dann sozusagen Pop geworden ist. Und dann habe ich mich total durchgelesen und bin sozusagen durch diese Oberfläche wiederum auch getaucht und habe mich in den schwierigen Stoff versenkt und monatelang alles gelesen, nicht alles, das geht ja immer noch weiter, aber das Buch ist ja nun irgendwann fertig gewesen, aber das hat sich dann ziemlich ausgeweitet. Ich denke, daß es ein superaktuelles Thema ist und Männer mindestens so sehr angeht wie Frauen. Die Problemlage hat ja Ihren Ursprung auf der Männerseite sozusagen."

Meinicke schraubt seine Sätze zu sperrigen Gebilden, deren Form zum Inhalt einen subtilen Humor schafft. Auch ein wissenschaftlkicher Text habe für ihn durchaus Sound und könne Kunst werden.

„Ich habe in letzter Zeit den Eindruck, daß die theoretische Literatur so ein bißchen die schöngeistige abgelöst hat, im gewissen Sinne,; auch ähnliche Qualitäten entwickelt hat. Auch theoretische Texte verhehlen ja heutzutage nicht mehr, daß sie erzählende Texte sind. Es wird ja nicht mehr aufgetrumpft mit irgendwelchen Objektivitäten, es wird ja praktisch immer, bei den interessanten Ansätzen jedenfalls, immer im Bewußtsein mitgeführt, auch für die Leserschaft, daß hier auch nur erzählt wird."

Wenn der Arzthelfer Hans der von ihm verehrten Vivian seine Probleme bekennt, an sexistisch-werbenden Großplakaten ohne innezuhalten vorüberzugehen, und die Freundin ihm daraufhin, den Kopf tätschelnd, erklärt, dies sei „Teil eines fürwahr langwierigen, sich eben im Umgang mit Widersprüchen manifestierenden Zvilisationsprozesses", dann ist das ernst und komisch zugleich.

Ist Tomboy also auch ein komisches Buch?

„Ich habe eine komische Ebene im Text dadurch, daß die Sprache selber aufs Glatteis geführt wird, die ganze Zeit. Da ist nicht so sehr eine Komik in dem, was ich dort schildere, also das Millieu zum Beispiel, das studentische, in dem sozusagen sowas gelesen wird, wie die Leute reden und handeln. Es ist höchstens in dem Sinne komisch, wie es auf meine Position bezogen auch komisch ist, also einer der dann trotzdem noch ein Buch darüber schreibt, nach all diesen Erkenntnissen über das, was Sprache die ganze Zeit nicht leisten kann. Oder was Sprache für Fehlleistungen die ganze Zeit vollzieht. Von daher ist da eine Komik, weil ich ja sozusagen ein Buch darüber schreibe, wie seit Jahrhunderten Männer sozusagen Frauenfiguren konstruieren, und ich tus natürlich auch in meinem Text. Ich kann dem auch nicht entkommen, wenn ich dann ein paar Figuren dort die Texte wiederum besprechen lasse. Man kommt da nicht raus, und ich glaube, das gibt eine gewisse Komik. Ich bin glaube ich komisch dabei."

„Tomboy" von Thomas Meinecke ist im Suhrkamp Verlag Frankfurt erschienen und kostet 36 Deutsche Mark.

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