1.März 1998





Es könnte einer sagen.. - das Brandenburger Tor in der Mahnmaldebatte

Silvan Linden


[text als audiofile]

 

Irgendwann, das heißt eigentlich nicht irgendwann, sondern vor fast genau einem Jahr, ist in der Debatte um das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas ein Satz gefallen, der so schön ist, daß man meinen möchte, er habe das Zeug den Anfang einer schönen Geschichte zu markieren.
Vielleicht war es das Unglück dieses Satzes nicht am Anfang der Debatte gestanden zu haben; vielleicht war sein Unglück, einen Teil seiner Schönheit einer Paradoxie zu verdanken; vielleicht auch, war sein Unglück, daß die, die ihn weitertragen wollten, es im Sinne dieser Paradoxie getan haben. Es ist ein kleiner und bescheidender Satz, ein vermittelnder Satz, ein fast lapidarer Satz; ein Satz, der eine Säule des Brandenburger Tores behandelt - ein Satz, der da lautet:
Es könnte einer sagen: Ich nehme eine Stütze des Tores heraus, ersetzte sie durch eine provisorische und zeige, daß deutsche Geschichte nicht auf so festen Säulen steht, wie das Tor suggeriert.
Es könnte einer sagen... - der Satz vermittelt zu einem Wettbewerbsbeitrag von Horst Hoheisel, der im Rahmen des ersten der mittlerweile zwei Wettbewerbe vorschlug, das Brandenburger Tor vollständig zu zermahlen um es anschließend auf dem Wettbewerbsgelände zu verteilen.
Der Satz selbst stammt von Salomon Korn, Architekt in Frankfurt und Mitglied im Präsidium des Zentralrates der Juden, der somit das Denkmal wohl auch als ein solches verstanden wissen wollte, welches er als Jude schlechterdings nicht errichten kann.

Was Hoheisel nur als radikale Provokation gedacht haben kann, verwandelt Korn in ein durchaus realpolitisches Konzept. Es ist im Grunde ein Geniestreich. Während sich alle bekannten Entwürfe jenseits der Probleme von Maßstab, Didaktik, Autorenschaft und Trauerprotokoll vor allem um die Erfindung eines allgemeinverständlichen und konsensfähigen Symbols mühen, löst das Kornsche Konzept all diese Probleme mit einem einfachen Rückgriff auf womöglich das Symbol deutscher Geschichte und Ambivalenz schlechthin: das Brandenburger Tor. Nahezu alle Stränge der neueren deutschen Geschichte bis hin zur Wiedervereinigung haben es freiwillig oder unfreiwillig verstanden in ihm ein Objekt der Identifizierung vorzufinden. So dient es heute einer jeden Hauptstadtaktivität als Bezugspunkt ebenso, wie der Pizzeria Brandenburgia als Logo und der rekonstruktionbeflissenen Nachbarschaft zur Legitimation reparierter Geschichtsentwürfe.
Während die geplante Staatskunst aller Kritik an einer sündenstolzen Unmaßstäblichkeit mit der nunmehr noch größeren Monumentalität eines serraÕschen Gesinnungsfilters begegnet oder aber per Verwendung entleerter Symbole jüdischen Glaubens der jüdischen Kultur als dem ohnehin Fremden und nunmehr Verschwundenen gedenken will, markiert die provisorische Stütze das Fehlen des dazugehörenden und unverzichtbaren. Das Fehlen der Juden genauso wie - soviel möchte man Korn unterstellen - das Fehlen aller anderen Verfolgten; sichtbar an einem Ort, der durch seine Funktion eines "liebgewonnenen Nationaldenkmals" eine Spaltung der Erinnerung in eine gute und eine schlechte deutsche Geschichte unmöglich macht und somit Identität nur in der Akzeptanz geschichtlicher Brechungen erlaubt.

Es könnte einer sagen...- aufgegriffen wurde der Satz, nachdem er nur zaghaft diskutiert worden war, schließlich von einer Initiative, die ihn nach dem Schneeballprinzip verbreiten und in Form individuell an Kultursenator Radunski gerichteter Petitionen Gewicht verschaffen wollte. Die Initiative selbst sollte dabei namenlos hinter die Zahl all jener Einzelstimmen zurücktreten, die sich den Satz zu eigen machen mochten; auf daß die provisorische Säule selbst schon zur Manifestation eines in der breite vollzogenen Prozesses würde werden können, anstatt einen solchen erst einzuleiten.
Es könnte einer sagen... - es scheint, die Initiative ist ihrem eigenen Idealismus zum Opfer gefallen; denn die Resonanz, so vorhanden, ist nicht einmal mehr meßbar. Wieviele Petitionen Herrn Radunski mittlerweile erreicht haben, ist nicht in Erfahrung zu bringen und die namenlosen Initiatoren haben den Glauben an die Durchsetzungskraft der Idee, auf die sich so ausschließlich verlassen wollten, inzwischen verloren.
Es könnte einer sagen... es scheint, der Satz ist geendet wie er begonnen hat - als ein kleines Paradoxon. Vielleicht auch, weil ihn zu denken und zu sagen - das Denkmal als Denkmal - schon sein eigentlicher Zweck ist.
Ein paar mehr könnten aber dennoch sagen...

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- 01.März 1998 -


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