archiv
1.März 1998





Spektakuläre Transferleistungen: Ester alias Thomas Brinkmanns *Totes Rennen.*

Ulrich Gutmair


[text als audiofile]

 

Nach McLuhan schleppen neue Medien ihre toten Vorgänger auf die eine oder andere Weise immer mit sich herum. Auf Ester alias Thomas Brinkmanns CD "Totes Rennen" sind das die Kratzgeräusche von Vinylplatten. Endlos rotierend folgen sie den Einkerbungen, die Brinkmann dem Vinyl vorher beigebracht hat. Nach jahrelangem Experimentieren mit dieser Maschine gewordenen Scratchtechnik wurde Brinkmann durch seine Remix-Arbeit mit den Studio 1 Variationen auf dem Kölner Profan Label bekannt. Aber erst für "Totes Rennen" griff Brinkmann selbst an die Drehregler von Sequenzer und Sampler und kombinierte die Kratzloops mit elektronischen Klängen. Die geloopten Vinylpassagen stolpern manchmal in Gegenrichtung zum Rest der Tracks. Brinkmann generiert durch die so gegeneinander verschobenen rhythmischen Muster jene gewisse Funkiness, die man gerne auf Detroiter Minimal Techno-Veröffentlichungen hört. Ab und an springen Bassdrums von einem Kanal zum anderen und bringen so Farbe in den ansonsten hypnotisch monoton vor sich hin pulsenden Beat. Abgesehen von diesen rhythmischen Tricks zeichnet aber der Einsatz von Samples für die wohl spektakulärere Transferleistung verantwortlich: Brinkmann transportiert kurze Statements diverser Dichter und Denker als Vertreter eines noch älteren, wenn auch lebendigeren Mediums in die Welt von Techno-Beats und Bass-Sequenzen. Wie die Vinyl Scratches funktionieren die Sprachloops zuerst einmal als rhythmische Elemente...

[Ester Brinkmann: On Ne Vit Pas]

Das Cover der CD verschweigt konsequent die Herkunft dieser Sounds, die - wie man hört - in den berufenen Mündern von Männern wie Foucault und Heidegger moduliert worden sind. Die Idee, gesamplete Stimmen als Musik anderer Ordnung zu benutzen, ist für den Dancefloor immer selbstverständlich gewesen. Dessen Vokal-Sounds waren zuerst einmal tautologische Verweise auf die Musik selbst - oder die Praxis des Tanzens und der körperlichen Erfahrung: "This beat is technotronic"... "Can you feel it?" Die Idee des Samples als tautologischerRhythmusmaschine - also mittels der Delete-Taste der narrativen Funktion von Sprache zu Leibe zu rücken - funktioniert allerdings nicht auf allen Brinkmann-Tracks gleichermaßen brilliant. Dafür sind die gesampelten Statements zwischendurch doch etwas zu trocken und akademisch und können sich nicht immer ihrer Aura von Wichtigkeit entziehen. Wenn allerdings stolpernde Beats mit einem nie enden wollenden Mantra Heinz von Foersters kombiniert werden, kann man das durchaus grossartig finden, zumal von Foerster das Prinzip Techno charmant in österreichischem Akzent auf den Punkt bringt. Interessant ist halt immer das, was zwischen den Beats und Scratches, in den Muskeln und Synapsen passiert - ob das ein Oswald Wiener Sample ist, ein Endorphin-Rausch oder die dreidimensionale Halluzination eines Klangs, wo eigentlich keiner ist.
Wahrscheinlich ist die Unsicherheit, die das "Tote Rennen" erst einmal produziert, das Einfallstor für eben diese Momente.
Informationen über Brinkmanns Totes Rennen und andere Produkte aus dem Hause Suppose finden sich im Netz unter http://www.suppose.de.

[Ester Brinkmann: Noch einmal]

 


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archiv - 01.März 1998 -


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