7.Dezember 1997




green anarchist im Gefängnis

Micz Flor


[text als audiofile]


Everyone has the right to freedom of opinion and expression; this right includes freedom to hold opinions without interference and to seek, receive and impart information and ideas through any media and regardless of frontiers.
Article 19 of the United Nations Universal Declaration of Human Rights, 1948

Gemein! Drei Redakteure im Knast.

In England wurden Sax Wood, Noell Molland und Steve Booth wegen Verschwörung und Anstiftung Dritter zu Straftaten durch den Vertrieb ihres Magazins zu jeweils drei Jahren Gefängnis verurteilt. Seitdem sitze ich ratlos vor den Medien.

Gemein! Pressefreiheit für die Katz.

Um so unglaublicher ist es, daß es sich bei der vorliegenden Publikation um ein Tierschützer Magazin handelt - und Tierschutz wird doch inzwischen in bürgerlichen Großbuchstaben geschrieben. Magazin ist auch schon zu viel gesagt - Zine trifft es schon besser. Mit einer Auflage von 2000 hat der 'Green Anarchist' kaum ein breiteres Publikum erreicht, als die verwandte Organisation der 'Animal Liberation Front' (ALF) an loyalen Mitgliedern aufweist - wenn überhaupt.

Die Urteile folgten einer umfassenden, polizeilichen Untersuchung unter dem Decknamen 'Operation Washington'. Der 'Green Anarchist' bewegt sich zugegebenermaßen an der Grenze des guten Geschmacks, besteht allerdings zu recht darauf, das Geschmack und Ethik im Bezug auf Tierhaltung, Fleischproduktion und wissenschaftliche Forschung harte Bandagen im Umgang mit dem Establishment fordern. Der Stein des Anstoßes von denen ohne Schuld geschmissen, war unter anderem der Aufruf, es sei durchaus legitim sei im Kampf für die Befreiung der a priori unschuldigen Tiere zu illegalen Mitteln zu greifen. Drei weitere Aktivisten aus dem 'Green Anarchist' und ALF Umfeld könnte in absehbarer Zeit unter den gleichen Vorwürfen ein ähnliches Schicksal ereilen. So viel zum Thema Pressefreiheit.

Laß uns nicht über Pressefreiheit *reden*... Wie reagiert die betroffene Presse?

Der 'Big Issue', eine Magazin Initiative Obdachloser, ähnlich der Berliner 'Motz' - jedoch mit deutlicher größerer Akzeptanz - beiträgete über den Vorfall - und hätte der 'Big Issue' nicht wie so oft buchstäblich 'the ear on the ground' hätte der Vorfall die Mainstream Medien wohl nicht erreicht. Kurz darauf fanden sich vier Zentimeter im Guardian und schließlich eine Seite in der 'Media Section' der Zeitung. Und da blieb das ganze auch schon stecken. Der erwartete Medieneffekt - den der 'Big Issue' noch vorherzusehen hoffte - blieb aus.

Das Thema Pressefreiheit scheint in gewisser Weise ähnlich bürgerliche Absolutionsfunktionen zu übernehmen wie der Tierschutz. Judith Vidal-Hall, Mitherausgeberin des Londoner 'Index on Censorship' verfolgt täglich Vorfälle staatlicher Zensur auf globaler Ebene. Passiert das Unglaubliche vor der eigenen Tür, kann sie sich nur wundern: 'Wenn dasselbe auf dem Kontinent passiert wäre und nicht in Großbritannien, so würden wir wohl alle zu Protestmärschen aufbrechen.'

Im Guardian bemerkt sich die Journalistin Diane Taylor. 'Kein Mitglied einer faschistischen oder rechstextremen Organisation stand jemals wegen eines solchen Vergehens vor Gericht. Und wenn es einmal dazu kommt, daß Dokumente der British National Party (BNP) Gegenstand gerichtlicher Untersuchung sind, so verhängt der Staat in der Regel Ordnungsstrafen.' Ähnliche Stimmen hörte man auch nach den Urteilen im Zusammenhang mit der deutschen, linksextremen Publikation 'radikal'.

Laß uns nicht über Pressefreiheit *reden*... Wo bleiben die Medieneffekte?

Wenn staatliche Zensur im eigenen Land die Presse nicht zu interessieren scheint, so zeigt doch zumindest eins: anstatt die Verbreitung unterbinden zu können, erreicht die staatliche Zensur nur die Abdrängung aus den konventionellen Medien in die digitalen. Im Fall von 'radikal' hat sich der Amsterdamer Provider xs4all bereit erklärt der Publikation digitale Zuflucht zu gewähren. Der Arm des Gesetzes ist immer noch an den eigenen staatlichen Körper gebunden und Amsterdam ist innerhalb von Europa nach wie vor die liberalste Anlaufstelle. Wo der Staat mit seinen Legislativen und Judikativen Lücken offen lassen muß, findet er aus einmal unerwartete Unterstützung. Das deutsche Forschungsnetz (DFN) übernahm nur zu eifrig die Funktion einer selbsternannten Exekutive in der digitalen Informationsgesellschaft und proklamierte öffentlich keine Anfragen für den Amsterdamer Server xs4all zu rerouten [info x]. Im Falle des 'Green Anarchist' übernahm 'Index on Censorship' die Verantwortung das Magazin weiterhin öffentlich zugänglich zu machen [info x]. Der Server steht in London und es ist zu erwarten, daß diese Hilfestellung weitere gerichtliche Schritte nach sich ziehen könnte.

Der Zensur folgt ein Medieneffekt der zumindest in der Peripherie Produktivkräfte freisetzt - Legitimität der eigenen Initiative über den zensierten Inhalt anderer. In Amsterdam gibt es seit einiger Zeit den Provider contrast.org, der es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat eben solche Fälle von Zensur auf globaler Ebene bei sich zu beherbergen. Dort findet sich dann auch das 'Handbuch der Kommunikationsguerillia' der Gruppe a.f.r.i.k.a. - zwar nicht zensiert, aber subversiv genug. Hoffen wir, daß sich mit der zunehmenden Marginalisierung extremer Presse im Bereich 'alter' Medien eine kritische Masse in der Peripherie - den 'neuen' Medien - bilden kann.

Micz Flor, London für convex tv.

... und als Abschluß noch die Gebrauchsanweisung aus dem redaktionellen Beipackzettel des 'Green Anarchist':

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only. No material in it is intended to incite any action
liable to lead to criminal or civil charges. Can't you
take a joke?


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- 7.Dezember 1997 -


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