7.Dezember 1997




ALIEN - die Wiedergeburt

Dana Sohrmann


[text als audiofile]


Ridley Scott, James Cameron, David Fincher und Jean-Pierre Jeunet - diese Regisseure verbindet vor allem eins: der Name ALIEN, der zum Inbegriff für herausragende sci-fi-Horrorfilme avancierte, und zwar bereits 1979 nach dem ersten Alien-Horrortrip. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1997 und Teil IV ist gerade auf der Leinwand erschienen. Während Ridley Scott im ersten Teil das Grauen auf sehr subtile Art inszenierte und das Alien nur am Schluß einen Ganzkörperauftritt hatte; gedieh James Camerons Version 7 Jahre später zu einem blutigen Action-Spektakel, in dem die Aliens in vollen Zügen zum Einsatz kamen. 1992 war David Fincher an der Reihe und proklamierte stringent eine düstere Apokalypse mit Opfertod der Heldin in brennendem Magma. Das schien der unausweichliche Schlußpunkt einer überzeugenden Trilogy - allerdings nur für 5 Jahre, denn Jean-Pierre Jeunet nun nahm die Herausforderung an, und läßt 200 Jahre später Ripley und die Aliens wiederauferstehen.

Überblickt man die einzelnen Alien-Filme, kristallisieren sich zunächst einige dramaturgische Konstanten heraus. Die jeweiligen klaustrophobischen Handlungsorte, ein Raumschiff, ein Kolonialisierungsprojekt oder ein Gefangenenplanet sind räumlich eng begrenzt und verfügen nur über einen, schwer erreichbaren Notausgang. Folgerichtig entwickelt sich die Spannungskurve dahin, das Gefängnis im Wettlauf gegen das Alien verlassen zu können.
Die Gleichung Alien jagt Mensch wird dabei ergänzt durch eine weitere Unbekannte, die sich "Gesellschaft" nennt und deren Ziel es offenbar ist, die Aliens um jeden Preis als Rohstofflieferant für biologische Waffen zu nutzen.

Sofortige Evakierung. Bitte verlassen die das Schiff. Danke für ihre Kooperation

Zugleich lassen sich hinsichtlich der Figurenentwicklung bedeutende Veränderungen ausmachen. Die Protagonistin Ripley zum Beispiel wird in Ridley Scotts Inszenierung aufgebaut zur einzig überlebenden eines alienverseuchten zivilen Raumschiffes. Ihre Rettung verdankt sie vor allem einer Eigenschaft: ihrer Männlichkeit, die sich in ihrem entschlossenen, kämpferischen Handeln manifestiert. Im zweiten Teil wird dieses Attribut noch dadurch verstärkt, daß Ripley auch dem extra ausgebildeten Soldatentrupp überlegen ist und es diesmal mit einer ganzen Alienkolonie zu tun hat. Noch forcierter geht es in Teil drei zu, wo Ripley sich als einzige Frau auf einem Gefängnisplaneten sowohl gegen die Aliens als auch einen Teil der ausgehungerten Häftlinge zur Wehr setzen muß.

Zugleich aber zeichnet Ripley mütterliches Verhalten aus, was ebenfalls immer mehr nuanciert wird. Wo im ersten Teil noch der Katze die Fürsorge galt, kämpft Ripley im Cameron-Film um ihre Ersatztochter Newt, wird im dritten Teil mit einem Alien schwanger und bringt in Teil IV eine neue Alien-Generation zur Welt.

Mann: Wer sind Sie?
Ripley: Ich bin die Mutter des Monsters.

Diese Mütterlichkeit ist aber ambivalent gezeichnet, denn analog besitzt auch die Alienmutter diesselben Instinkte: sie tötet, um ihre Nachkommen zu retten. Im Finale des zweiten Alienfilmes stehen sich insofern nicht Mutter und Monster gegenüber, sondern Mutter gegen Mutter.
Im gleichen Atemzuge verändern sich die Aliens. Aus einem der menschlichen Rasse völlig unbekannten Art, welche beeindruckende Metamorphosen durchläuft, wird eine ganze Brut bis schließlich die Alienkönigin eine menschliche Gebärmutter erhält und ihr Kind zu einem menschenähnlichen Monsterbaby mutiert.
Eine wechselhafte Rolle spielt auch der unvermeidliche Android, der in Scotts Inszenierung kaltblütig und roboterhaft seinen geheimen Auftrag erfüllt, in den späteren Filmen jedoch immer menschlicher wird. Bei Jeunet schließlich gerät ein weiblicher Android ins Blickfeld, der auf eigene Faust gegen die Alienzucht vorgehen will und obendrein menschlicher ist als der ganze Rest der Akteure.

Zusammengefaßt verliert sich die Mensch-Monster Polarisierung immer mehr. Wo sich im ersten Teil noch Mensch und Monster gegenüberstanden, werden in ALIEN - DIE WIEDERGEBURT sowohl Ripley als auch das Monster aus einer Blutprobe geklont. Die fehlgeschlagenen Versuche darf Ripley in einer Art Kuriositätenkabinett bestaunen, bis sie einem Mensch/Monster-Klon mit ihrem Gesicht gegenübersteht, der um seinen Tod bettelt.
Die Genversuche führten dazu, daß sich die archaischen Instinkte der Monster mit den Errungenschaften der menschlichen Evolution mischen; Ripley erhält etwas von der Stärke und Abgebrühtheit der Aliens, während jene verwundbarer werden.

Offizier:
Es hat ein Erinnerungsvermögen? Wieso hat es ein Erinnerungsvermögen?
Wissenschaftler:
Wir vermuten, daß es sich um genetisch vererbte Erinnerungen handelt, die über Generationen mit den Aliengenen weiterggegeben werden, wie auch ihre Stärke. Dazu kommt auch ein gutausgebildeter Instinkt. Ein unerwartetes Ergebnis unserer Kreuzung.

Die Ränder von Zugehörigkeit werden dadurch mehr und mehr in Frage gestellt, was in der aktuellen Verfilmung in einer zärtlichen Umarmung Ripleys mit dem neu geborenen Alienbaby gipfelt. Am Ende wird dieser Erkenntnis noch eins drauf gesetzt, indem nur die überleben, die am wenigsten dem Durchschnittsmenschen entsprechen: eine Geklonte, eine Androidin und ein Querschnittsgelähmter.

Parallel verlieren sich eindeutige Opfer-Täter-Zuordnungen. Nicht die Aliens sind die wirkliche Bedrohung, sondern die Gesellschaft, die sich in kapitalistischer Manier ihrer bedienen will. Insofern ist auch der von Jeunet aus der Horror-Mottenkiste hervorgeholte mad scientist, der die Experimente durchführt, schuldlos und schuldig zugleich. Jeunet bringt auf diese Weise subversiv das zeitgenössisch umstrittene Thema der Genmanipulation auf den Tisch, auch wenn sein Ausblick 200 Jahre weiter datiert ist.

Dem Franzosen Jean-Pierre Jeunet gelingt es, seine Alien-Version zu einem grotesquen Spektakel aufzubauschen, in dem horrende und splattrige Momente problemlos neben ironischen und witzigen Passagen stehen, in denen zum Beispiel die Vorgängerfilme parodiert werden. So prägt er seinem Film den Stempel auf, den auch "Delikatessen" und "Stadt der verlorenen Kinder" mit ihren absurden, irrealen Welten tragen. Diese, vielleicht als europäisch bezeichenbare Darstellungsweise, macht ALIEN- RESURECTION leicht goutierbar, richtet die Aufmerksamkeit aber nicht mehr ausschließlich auf Action und Special effekts, sondern zeigt sich an aufwendigen, beeindruckenden Details, wie dem zeitlupenhaften Explodieren einer Gewehrkugel im Wasser.
Wenn das Horrorgenre, zu welchem die Alienfilme strukturell zuzuordnen sind, eine überlebenschance hat, dann sind solche inhaltlich-, wie szenograpischen Akzente vielleicht ein gangbarer Weg, denn die alten Genre-Pfade noch einmal auszutreten, wie es vor einiger Zeit ANAKONDA oder DAS RELIKT versuchten, führt mit Sicherheit in eine Sackgasse.

Ripley: Wir haben es geschafft. Wir haben die Erde gerettet.
Call: Was wird jetzt?
Ripley: Das kann ich nicht sagen. Ich bin hier ebenso fremd wie du... .



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- 7.Dezember 1997 -


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