Nacherfundenes
Aschersleben
Réinventée















madame

frédéric de lachèze




Es gäbe durchaus, Madame, eine sehr taktile, sehr körperliche Weise, Ihnen ein Gefühl für die Distanz zu geben, die unsere Körper und Seelen trennt. Ein Bild vielleicht, etwa ein Meisterwerk, völlig schwarz, verkörpert in der Gewalt der Nicht-Farbe, ein stumpfer, unterdrückter, leerer Schrei. Malewitsch als Helfer für die einzigartigen Ausflüchte des Herzens, die Speerspitze der Avantgarde als traurige Standarte. Sie könnten also, Madame, dieses kleine Museum der Trostlosigkeit, der unfüllbaren Leere besichtigen, dessen Künstler, Wächter und menschenscheuer Konservator ich, Ihr Diener, gleichzeitig bin. Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie - Ihr beigefarbenes Kostüm in vollkommener Harmonie mit den farblosen Wänden - dieses innere Labyrinth, dessen Austattung von Ihrer Flucht geprägt ist, schnellen Schrittes durchmessen. Leicht, wie die Entfernung des Pinsels von der Leinwand, wie die Entscheidung zum letzten Federstrich, der die Erzählung abschließt. Vorhaltungen geschickt ausweichend. Taub für jeden Hinweis. Insgesamt gleichgültig für Bilder.

Ich weiß wohl, Madame, sollte der Zufall diese Fragmente in Ihre Hände gelangen lassen, die Beharrlichkeit meines Vorgehens wird Sie zum Lächeln bringen, und in diesem Kräuseln der Lippen wird Ihre ganze Verachtung für meine literarischen Prätentionen liegen. Entschuldigen Sie dieses Wort (Was aber hätten Sie, in diesem Augenblick, mir auch anderes zu verzeihen, als ein bedauerliches Wortspiel?): Sie können nicht das Gemälde meines Leidens sehen, sie können mich nicht leiden, Madame. Sie haben die Mauern dieser Stadt verlassen, haben mich hiergelassen, auf der anderen Seite der Traurigkeiten. Um der Wahrhaftigkeit meiner Erzählung keinen Abbruch zu tun, muß ich hinzufügen, Sie sind mit X. in diese entlegene deutsche Stadt gegangen. Es gibt, sollte auch meine Erzählung darunter leiden, keine plattere alphabetische List, Ihnen mein gegenwärtiges Unglück zu beschreiben. X., also. X. hat Ihnen die Hand gereicht, um die Grenzen zu überschreiten, X. hat Ihre Angst vor der Sprache mit geschickten verbalen Aufmerksamkeiten beschwichtigt, X. hat Ihnen die germanische Begeisterungsfähigkeit beschrieben, X. hat Ihnen Ihre heitere Sommerfrische buchstabiert, die Buchstaben komisch auseinander-ziehend, A-S-C-H-E-R-S-L-E-B-E-N, siehst du, das Leben ist doch ein Kinderspiel. Und ich, ich attackiere den Atlas mit der Lupe, wühle mich durch den Wust von Symbolen und Sprachen, umkreise mit dem Finger meine Regionen des Schmerzes, die Kartographie des Verrats. Der Staub von Körpern, selbst reduziert auf die unfehlbare Kälte der Geographie, ist immer noch ihre Realität. Was mich betrifft, so hat mich der Dolch direkt ins Herz des Universums getroffen.

Mein Herz, ja, genau der Ort, in den Ihr Leib für alle Zeiten seine Raserei des Verlusts eingraviert hat. Auf unserem gemeinsamen Weg hat es niemals an vollkommen plastischer, visueller Gnade gefehlt, im Fleische und in sich überbietenden Bildern. Im Zeichen der Museen sind wir auf die Welt gekommen, voller zeitloser Gewißheiten, die sich im Spiegel des Ehepaars Arnolfini reflektieren. Erinnern Sie sich, Madame, an dieses Gemälde, das, zweifellos einige Stunden nach dem schicksalschwangeren Gelöbnis, die beiden Parteien in ihrer sozialen Rolle zeigt. Der Gatte und die Frau halten sich an der Hand, zum Besten der gemeinsamen Interessen. An der verzierten Wand im Hintergrund, das Auge des Malers im gewölbten Spiegelbild. Erinnern Sie sich auch, verloren in Ihrem erbärmlichen teutonischen Marktflecken, wie wir gemeinsam dieses flämische Meisterwerk betrachtet haben, und an Ihren kleinen verschwörerischen Satz, der in mein Ohr geschlüpft ist: "Sie sind ja so süß!". In Glück wattiert, habe ich nichts von der eiskalten Täuschung der Leinwand und von der bösartigen Geschmacklosigkeit dieser Süße erfaßt. Es war immer noch in London (der ungebildete X. weiß sicher nicht, daß das Gemälde von Van Eyck im neuen Flügel der National Gallery aufbewahrt wird), als Sie, Madame, und ich ermahne Ihr Gedächtnis, sich keineswegs davonzustehlen, mir zum ersten Mal die kaum erträgliche Gunst erwiesen haben, mir zu erlauben - oh Tag der Gottheiten, die sich über eine Wiege voller weißer Steine beugen - Ihnen abends und morgens das Haar zu kämmen, nach Ihrem Geschmack, wie sich versteht. Diese Geste, masturbierend und vertikal, ich bin Courbet, der den roten Schopf von Jo, der Irländerin, glättet, diese Gebärde eines Cellisten erfordert ganz besonderes Fingerspitzen-gefühl, bei der Subtilität mit Methode wetteifert und Raffinement sich mit Dialektik vermählt. Ein Bürstenstrich nach links, nach rechts, wobei man sich der Schultern als Stütze bedient, bevor man sich dem Flechtwerk des Zopfes widmet. Ein einleitender Bürstenstrich für den Pferdeschwanz, die sinnenbetörende Auswahl der Haarspange in farb-licher Harmonie mit dem restlichen Körper, also mit der wechselhaften Milde der dem Himmel folgenden Augenfarbe, mit der Schwere und Farbe der Kleidung, dem Gespür für das Gewebe, im heimlichen, aber dennoch merklichen Einklang mit den Schuhen, und nach dem Schminken die weit nach außen ragende Anordnung, so daß es bei Unwetter keinen Halt gibt. Ein ungestümer Bürstenstrich nach hinten, dann nach vorn, ruhig und gerade am länglich aufgesteckten Haarknoten. Eine Frau mit allersüßestem Strubbelkopf. Ebensoviele haarfeine Sinnsprüche wie mögliche Variationen der Weiblichkeit. Ohne, Madame, aus Furcht, Ihren nörgelnden und gestrengen X. zu erschrecken, von jener bewundernswerten Gebärde zu sprechen, die von Ihrer linken Hand tausend, zweitausend Mal am Tag ausgeführt wurde, mit der Sie Ihren Pony wieder gerade in die Stirn strichen, als ob sie in ein schwarzes Verlies gesperrt werden müßte.

Um ehrlich zu sprechen, keine Flasche, die ich ins Meer werfen würde, damit sie zu Ihrem deutsch-gutturalen Ankerplatz schwimmt, könnte dem Druck meiner Gebete standhalten. Kein Schiff könnte das Jauchzen meines Kielwassers, das leere Echo meines SOS nachzeichnen. Denn, Madame, und die metaphorische Fülle dieses Briefes kann niemals die Wahrhaftigkeit meiner Botschaft verfälschen (sie kann nur so eben durch die geschmeidige Maske der Scham vor der Lächerlichkeit schützen), Madame, ja, ich liebe Sie. Und allein, aufrecht, aufgespießt auf die Pein der Abwesenden, psalmodiere ich in der solaren Evidenz meines unbilligen Gefühls diese drei schlichten Wörter zum Himmel. Aber vom Meer und vom Himmel ist kein telegraphischer Trost zu erlangen, kein geflügelter Merkur kommt als Brieftaube. Ich muß also mit Bordmitteln zurechtkommen, Heft, Stift, ein brachliegendes Gedächtnis, um aus meinem Ruf den Algorithmus der Liebesklage zu machen, eine Fibel des kompensierten Leidens: summa summarum, ein Handbuch für den umherbummelnden Hahnrei (gemusterte gelbe Shorts und dazu passender Anorak), einen Ratgeber zur gescheiterten Abnabelung. Eine radikale Maßnahme: ich stelle mir Ihren kläglichen Alltag vor. Dann an den Liebhaber denken: eine zusätzliche Wonne, ein weitere Belastung der Situation. Die Apathie Ihres Führers der Saison, Madame, deckt erneut die Weite der Trostlosigkeit auf, also zwei Kadaver unter den Röntgenstrahlen großartiger Langeweile. Wenn doch ich, Madame, Ihnen die Augen für die Wonnen der Orte hätte öffnen können! Nicht Tourist, sondern Fremdenführer, nicht Fremdenführer, sondern Barde, nicht Barde, sondern Poet, Stein, Sockel, Licht. Heilige Insel, Insel des Ursprungs, Insel des paradiesischen Getöses, diese Stätte wäre der Ort des Urknalls gewesen. Und Sie, Madame Eva, im Nerv meiner Versuchungen, würden, vom Chaos überwältigt, mit dem Magma Unzucht treiben. Meine Rede erhebt sich bis zu den Möwen und fällt wieder in den Abgrund zurück. Die Tinte trocknet ein, es geht nicht mehr weiter, ein Tintenfisch auf dem Trockenen. Ihre Antwort verharrt im Geklapper Ihrer früheren Vorhaltungen. Ein abgestumpfter Dichter in den Lumpen bezahlten Urlaubs, bin ich und bleibe ich, die abgestandene Luft von Erinnerungen im unzähmbaren Mistral. Sie liegen an einem Strand mit feinem Sand, sonnenglänzend, der Landwind ruft ein sanftes Kräuseln auf dem Wasser hervor. Die Arbeit besteht nur darin, seinen Körper in diesem riesigen blauen Rechteck zu bewegen, eine Kurve, eine Linie, die zarte Andeutung eines Umrisses. Dann den Rücken trocknen und bräunen, die Lenden, die Rückseite der Schenkel - ich höre noch wie Sie, Madame, mit gewollt kindlichem Mund, das Wort Schenkel aussprechen, wie Sie mir an einem Donnerstag im November in einem überfüllten Geschäft sagen: "Ich möchte Ihre kühlen Hände auf meinen Schenkeln spüren, aber nur die Rückseite meines Rocks dazu anheben" - dann umdrehen, für den Hals, die Brust, die gesamten Beine. Ich weiß aus Erfahrung, daß Sie Ihren Hals nicht lieben, der nicht vogelhaft und zierlich genug ist. Ihnen erscheint das so. Dennoch ist das der Teil Ihres Körpers, Madame, den ich jauchzend liebkose, eine faszinierende Ummantelung der Verbindung zwischen der Seele und ihrer Verkörperung, die saugend zu lecken ist, indem man an ihrem Umriß knabbert, weil man scharf darauf ist zu erkennen, indem man die rebellische Haarsträhne wegpustet, die wie eine Falte wirkt. Man muß auf dem Meer zeichnen, ich meine, das Meer in seiner geschmeidigen Bewegung zeichnen. Eine riesige Schiefertafel und als Kreide ein Überzug aus Schaum. Fliege, überfliege, zeige das Flüssige. Und dann, sanfte Wiege der ruhigen Anspannung, begleite, aus der Tiefe, den Widerschein der Sonne. Das Meer, sein aus dem Inneren aufsteigendes Geräusch, wird zu Deinem unendlichen Herz. Von hier gesehen, zeichnen Ihre maritimen Eskapaden allerdings ein Gemälde von Pollock. Rot, Emaille. Das Flimmern der Luft auf der Oberfläche, der Arm bewegt sich ruckartig. Ein notwendiges Bild - warme Strömung, Fische, dunkle Tiefen - und tollkühn - ein flüssiger Bruststoß, Kraulen, auf der Seite schwimmen, hin und her, ganz wie es Ihnen gefällt. Meine Hand wird dieses schwarze Bild niemals erreichen können. Schwamm drüber, und meinen Namen eingraviert. Wir haben lange die Gemälde der Pariser Sammlungen betrachtet. Große weiße Voluten drücken den Rahmen zur Mitte, bringen dem Ziel des Auges eine schneehafte Eintönigkeit nahe. Ein umgekehrter Malewitsch, ganz schlicht. Schräg, in der Mitte dieses jungfräulichen Rechtecks, ein schwarzer Riß, zerfetzt mit vorsichtigen weißen Farbstrichen. Ein verzerrter Mund, verstopft von wortlosem Schmerz. Schamlippen, die man wieder verschließt, indem man die Sprache eines universellen Genusses vergißt. Es bleibt nur noch die Gegenseite eines kurzen, zurückgehaltenen Schreis übrig, der dafür bestraft wird, daß er sich zeigen wollte. Zwischen dem weißen Strand und der schwarzen Tinte, zwischen dem Flügel meiner Feder und der Insel meiner Schönen liegt dieser tiefe Riß, eingebettet in tausend Gründe für das Fortgehen, angefüllt mit den winzigen Niederträchtigkeiten, die aus dem Ruf eines Vornamens die Ungestümheit eines fixierten Bildes machen, aus dem Emaillerot der Gestalt einen Blutspritzer.

Wenn ich, Madame, eine fiktive Geschichte der Kunst webe (und Sie darin wiederum verliere), ahne ich im Grunde, daß Blindheit - nicht immer die Zeit und das Hochgefühl, verliebt zu sein - eine hinreichende Voraussetzung ist, um alle Bilder heraufzubeschwören, darin eingeschlossen das Frauenherz. Man muß seine Sichtweise der Fiktion und der Trauer malen, so daß man jenseits davon den Grabstein sehen kann, der Ihr Gesicht in dieser fremden Stadt bereits ist, Ihr gegenwärtiges Gesicht, das in Wirklichlichkeit so lieblich ist. Man braucht Zeit, um seiner Seele ein Kind zu machen.








last update: 2.3.1997

copyright : english - german